Placebo: mehr als eine Pille ohne Wirkstoff

Paddy Kälin
Apr 08, 2024Von Paddy Kälin

Der Placebo-Effekt ist ein faszinierendes Phänomen, das die Menschen schon seit jeher beschäftigt. Bereits in der Antike beschrieben die grossen Mediziner und Denker der damaligen Zeit die positive Wirkung eines an sich wirkungslosen Mittels.  Es gibt ganz offensichtlich eine Verbindung zwischen den Gedanken eines Menschen und den Auswirkungen auf dessen Körper. Diese psychosomatischen Zusammenhänge sollen im Folgenden beleuchtet werden.

Definition

Placebo heisst wörtlich aus dem Lateinischen übersetzt "ich werde gefallen". Was uns am Placebo tatsächlich gefällt, ist die positive Wirkung. Eine Scheinbehandlung (Medikament, Operation, Therapie) führt zu einer Verbesserung der subjektiv wahrgenommenen Befindlichkeit. Dabei ist interessant, dass sich die Wirkung von Placebo nicht auf die rein psychologische Ebene beschränkt. Placebo hat einen viel grösseren Einfluss, als ursprünglich angenommen. Scheinbehandlungen haben die Kraft physiologische Parameter (wie den Blutdruck oder die Herzfrequenz), die Aktivität unseres Immunsystems und auch die Ausschüttung von Neurotransmittern oder Hormonen zu beeinflussen.

Neben dem Placebo-Effekt gibt es auch den Nocebo-Effekt. Das sind dann dementsprechend unerwünschte Nebenwirkungen von scheinbar schädlichen "Behandlungen". Menschen berichten zum Beispiel von elektrosensiblen Irritationen von Mobilfunkmasten, obwohl diese gar nicht in Betrieb sind. 

Forschung

Obwohl sich die Menschheit schon seit Jahrtausenden mit Placebo und dessen Wirkungen auseinandersetzt, findet die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Thema erst seit etwa 100 Jahren statt. Während des 2. Weltkrieges wurde das Schmerzmittel Morphium knapp. Der amerikanische Arzt Henry K. Beecher beobachtete , dass amerikanische Soldaten weniger Schmerzen empfanden, obwohl sie "nur" eine Infusion mit einer Salzwasser-Lösung bekamen. Dies weckte das Interesse des Arztes am Placeboeffekt. Beecher wurde zum Vorreiter der Placeboforschung. Unter anderem führte seine Forschung auch dazu, dass auch heute noch neue Medikamente vor deren Zulassung in sogenannten Doppelblindstudien getestet werden. Das Medikament und das identisch aussehende Placebo wird den StudienteilnehmerInnen zufällig abgegeben. Weder TeilnehmerInnen noch StudienleiterInnen wissen, wer welches Präparat erhält (doppelblinde randomisierte Studie). Das Medikament muss dabei signifikant bessere Wirkungen erzielen, als das Placebo, um zugelassen zu werden.

a pile of pills sitting next to each other on top of a table

Wirkung

Wie Placebos exakt wirken, ist immer noch nicht abschliessend geklärt. Es gibt allerdings bereits diverse Studien über den Wirkmechanismus von Placebos zur Linderung von Schmerzen. Bei der Schmerzverarbeitung spielen drei Hirnareale eine zentrale Rolle: das Cingulum, die Amygdalae und das PAG. Werden diese Areale aktiv, hemmen sie über die Ausschüttung körpereigener Endorphine die Schmerzwahrnehmung. Diese Areale - das kann man in bildgebenden Verfahren heutzutage beobachten - werden auch aktiv, bei der Verabreichung von Morphium (starkes Schmerzmittel). Und dieselben Areale werden auch aktiv, wenn "nur" ein Placebo verabreicht wird. Dass dies der Fall ist, müssen aber zwei wichtige Bedingungen erfüllt sein. Diese Bedingungen können für die mögliche Wirkung von Placebos generalisiert werden.

Erwartungen

Positive Erwartungen spielen eine entscheidende Rolle für die Wirksamkeit eines Placebos. Verschiedene Faktoren können die positive Erwartung fördern. Zentral scheint das Vertrauen gegenüber der Person, die das Placebo verabreicht. Studien konnten beweisen, dass Placebos besser wirkten, wenn es vom Chefarzt, statt vom Krankenpfleger verabreicht wurde. Überdies steigert eine Scheinoperation die Aussicht auf Erfolg gegenüber einem Scheinmedikament. Und letztlich haben Placebos dann eine grössere Wirkung, wenn die Pillen grösser, bunter oder teurer sind und überdies auch noch einen stärkeren medizinischen Geschmack haben. 

Erfahrungen

Wer einmal ein Medikament gegen Kopfschmerzen eingenommen und damit Erfolg hatte, lernt aus dieser Erfahrung, dass es Pillen gibt, die die gewünschte Wirkung erzielen. Wer bei einer Prellung Linderung durch eine kühlende Crème erlebt hat, wird auch in Zukunft eher daran glauben, dass das Einreiben einer Salbe erfolgreich sein kann. Es müssen nicht einmal eigene Erfahrungen sein, die die Erfolgsaussichten von Placebos erhöhen. Bereits die Schilderung einer geglückten Akkupunkturbehandlung kann zum Lerneffekt führen, der später die positive Wirkung einer Scheinbehandlung begünstigt.

Die Wirkung von tatsächlichen Arzneimitteln kann mit Beigabe von Placebos in einem ersten Schritt verstärkt werden und später sogar vollständig durch Placebos ersetzt werden, wie neuere Studien nachweisen konnten. Es handelt sich hier um einen Vorgang der klassischen Konditionierung - also auch um Erfahrungen und um Lernen.

green cactus plant in close up photography

Ethik

Die Verabreichung von Placebos führt zu ethischen Problemen. Schliesslich "lügt" der Arzt seinen Patienten an. Spätestens seit 2010 und einer spektakulären Studie von Ted Kaptchuck an der Harvard Medical School konnte diese ethische Problem aber entschärft werden. Kaptchuck und sein Team informierten ihre Probanden mit einem Reizdarmsyndrom transparant und offen, dass sie nur Placebos verabreichen würden.  Die Pillen waren sogar mit Placebo beschriftet. Und dennoch wirkten sie. 

Damit ist kein Arzt gezwungen die Verabreichung von Placebos zu verschleiern und damit das Vertrauensverhältnis gegenüber dem Patienten aufs Spiel zu setzen. Wichtig ist so oder so eine empathische, positive und bestärkende Kommunikation, um eine positive Erwartungshaltung zu schaffen und damit den gewünschten Effekt von Placebos zu begünstigen.

Bedeutung für den Alltag

Das Thema Placebo zeigt sehr schön, wie mächtig Gedanken und Worte sein können. Unsere Sprache (nur gedacht oder auch ausgesprochen) hat biochemische Konsequenzen. Der Effekt einer positiven Sprache ist deshalb nicht nur andern, sondern vor allem auch uns selbst gegenüber, enorm wertvoll. Wir können den Placebo-Effekt für uns nutzen oder gegen uns wenden. Die Wahl liegt zum Glück nur bei uns selbst.