Wegen Umbaus geschlossen: das Gehirn in der Pubertät
Die Pubertät ist eine entscheidende Phase im Leben eines Jugendlichen. In dieser Zeit durchlaufen Körper und Geist viele Veränderungen. Besonders das Gehirn erlebt eine signifikante Umstrukturierung. Diese Veränderungen können das Verhalten und die Emotionen stark beeinflussen.
Gerade für Eltern und pädagogische Fachkräfte ist es wichtig, diese Veränderungen zu verstehen, um Jugendliche in dieser herausfordernden Phase besser zu unterstützen.

Hormone und Gehirnumbau
Oft wird die Pubertät einzig hormonellen Einflüssen zugeschrieben. Es stimmt, dass der Anstieg der Geschlechtshormone die Pubertät tatsächlich einläuten.
Bei Mädchen steigt im Alter zwischen 8 und 14 Jahren der Östrogenspiegel an, bei Knaben schiesst zwischen 9 und 15 Jahren das Testosteron nach oben. Die sekundären Geschlechtsorgane (Brust, Vagina, Penis) werden ausgebildet, die Körperbehaarung nimmt zu, die Stimme (Stimmbruch bei Knaben) verändert sich.
Mindestens genauso bedeutend für die Pubertät ist aber der Fakt, dass sich das Gehirn - insbesondere das Stirnhirn - noch in voller Entwicklung befindet.
Früher dachte man, dass das Gehirn im Alter von ca. 6 Jahren vollständig entwickelt sei (weil es in der Grösse nicht mehr wächst). Heute weiss die Wissenschaft, dass die Entwicklung des Gehirns bis etwa zum 25. Lebensjahr dauert.
Baustelle Gehirn
8-9 jährige Kinder verfügen über ein gut optimiertes Gehirn. Dabei sind vor allem nah gelegene Bereich gut miteinander verdrahtet. Im Erwachsenengehirn sind dann auch weit auseinander gelegene Bereich gut verbunden. Der grundlegende Umbau findet während der Pubertät und Adoleszenz, also im Alter zwischen etwa 12 und 20 Jahren statt.
Während der Pubertät sind die limbischen Zentren bereits voll funktionsfähig. Das Stirnhirn, der präfrontale Kortex, hinkt in seiner Entwicklung hingegen hinterher und ist daher noch nicht in der Lage seine Funktion zu übernehmen.
Emotionskontrolle, Konzentration, Vernunft, Aufschub von unmittelbarer Bedürfnisbefriedigung - all dies sind Aufgaben eines voll funktionsfähigen Stirnhirns. All dies gelingt während des Umbaus in der Pubertät nicht wirklich gut. Aus plausiblen Gründen und nicht aus Böswilligkeit der Jugendlichen.

Die funktionelle Schwächung des präfrontalen Kortex ist wichtig, damit er später - Erwachsenenalter - sein gesamtes Aufgabenspektrum wahrnehmen kann.
Instabilität & Selbstfindung
Während der Pubertät herrscht Chaos und Instabilität im Stirnhirn der Jugendlichen. Im Zentrum steht während dieser Phase eine Frage:
Wer bin ich?
In der ersten Phase (erste 18 Lebensmonate) grosser neuronaler Instabilität kreieren die Eltern und wichtigsten Bezugspersonen einen sicheren Hafen für das hilflose Neugeborene. In der zweiten instabilen und chaotischen Phase des Gehirns (Pubertät) geht es für Jugendliche darum sich langsam aus dem sicheren Hafen zu lösen. Genau aus diesem Grund ist es auch natürlich, dass Jugendliche gerade ihren engsten Bezugspersonen oft mit Verachtung und Ekel begegnen. Damit schaffen sie eine Distanz zwischen sich und dem sicheren Hafen. Aus Elternsicht ist das nicht immer einfach zu ertragen - allerdings sollte man die vorherrschenden Emotionen der Jugendlichen auf keinen Fall persönlich nehmen.

Die Pubertät ist eine Phase des Aufbruchs: von der Sicherheit in die Freiheit. Eine Phase, die natürlicherweise von Stimmungsschwankungen begleitet wird, da der präfrontale Kortex - wie oben bereits erwähnt - noch nicht in der Lage ist seine regulierende Funktion auf die emotionalen Zentren im limbischen System auszuüben.
Werte & Gefühle
Im Stirnhirn gibt es ein spezifisches Areal, das für die persönlichen Werte und Einstellungen steht. Es ist der sogenannte orbitofrontale Kortex, der direkt über den Augenhöhlen liegt. Dieser Bereich entwickelt sich als letzter, in einem Alter von ca. 15 bis 17 Jahren.
Dass sich Jugendliche nicht gleich normkonform verhalten können, wie dies Erwachsene tun, wird damit offensichtlich. Gerade, WEIL sich der orbitofrontale Kortex in der Entwicklung befindet, ist es wichtig den Jugendlichen klare Richtlinien zu geben. Es geht also nicht darum, alles zu tolerieren, sondern die Jugendlichen mit konstruktiven und direkten Feedbacks dabei zu unterstützen aufgrund der gemachten Erfahrungen ihre eigenen Werte aufzubauen.

Im unteren Teil des Stirnhirns werden auch Gefühle verarbeitet. In der Pubertät kommen neue, bisher unbekannte Gefühle dazu: Liebe und Sexualität entwickeln sich. Diese Gefühle stiften einerseits Verwirrung und konkurrenzieren andererseits das strukturierte Denken (eher im oberen Teil des Stirnhirns). Deswegen sind auch Konzentrationsschwierigkeiten durchaus normal. Statt um den "Satz des Pythagoras'" oder um das "passé composé" drehen sich die Gedanken der Jugendlichen des öfteren um das andere Geschlecht.

Was Pubertierende brauchen
Teenager brauchen auf dem Weg zu sich selbst Verständnis und Orientierung (Richtlinien). Das wichtigste ist aber: steter und wertschätzender Kontakt zum Baumeister auf der Baustelle Gehirn.
Pubertät bedeutet Reibung, Stress, Chaos und so weiter. Aber die Pubertät ist auch wundervoll. Es ist das Werden eines erwachsenen Menschen. Aus der hässlichen Raupe wird ein wunderschöner Schmetterling.
Weitere Details zur Pubertät findest Du in meinem Blog auf YouTube.