Unser Gehirn ist nicht dazu da uns glücklich zu machen
Das Überleben sichern
Wir haben ein Gehirn geerbt von Menschen, die überlebt haben. Das klingt logisch und trivial, hat aber durchaus eine wichtige Bedeutung für unser Leben im 21. Jahrhundert. Noch heute ist die Aufgabe des Gehirns das Überleben zu sichern. Darauf ist das Gehirn ausgerichtet. Um unser Glück müssen wir uns selbst kümmern.
Pro Sekunde strömen etwa 11 Millionen sensorische Reize auf unser Gehirn ein. Die allermeisten werden - glücklicherweise - unbewusst verarbeitet. In diesem Verarbeitungsprozess filtert das Gehirn, es misst Gefahren und negativen Anzeichen ein höheres Gewicht bei, weil es relevanter ist für unser Überleben.
Im Laufe der Evolution entstand durch natürliche Selektion ein Gehirn, das uns mit einem angenehmen Gefühl belohnt, wenn es eine günstige Gelegenheit für unser Überleben wahrnimmt. Ortet es hingegen eine ungünstige Situation für unser Überleben, straft es uns mit einem unangenehmen Gefühl.
Unangenehme und angenehme Gefühle werden von Botenstoffen (sogenannten Neurotransmittern) im Gehirn vermittelt.
Glückshormone
Im Allgemeinen führen 4 Botenstoffe, die gerne auch als Glückshormone bezeichnet werden, zu einem guten Gefühl.
Dopamin
Dopamin wird oft als Belohnungshormon bezeichnet. Allerdings ist dies nicht ganz korrekt. Dopamin ist nicht die Belohnung. Dopamin sorgt "nur" dafür, dass wir uns gut fühlen, während wir uns anstrengen, um die erwartete Belohnung zu bekommen. Dopamin treibt uns an und fördert auf diese Weise unser Überleben.
Endorphin
Endorphine sind so etwas wie die körpereigenen Schmerzmittel. Sie überdecken kurzfristigen Schmerz, damit wir z.B. auch verletzt noch in der Lage sind zu flüchten oder zu kämpfen. Selbstredend, dass auch dieser Mechanismus letztlich unser Überleben als Individuum und als Spezies fördert. Glücklicherweise werden Endorphine auch freigesetzt durch Weinen, Lachen und moderate körperliche Anstrengung.
Oxytocin
Soziales Vertrauen begünstigt das Überleben. Deswegen werden wir mit einem guten Gefühl belohnt, wenn wir eine Verbundenheit und Zugehörigkeit zu anderen Menschen spüren. Soziale Bindungen stimulieren Oxytocin. Ein menschliches Gehirn ist in der Lage zu abstrahieren und zu assoziieren. Daher ist es uns auch möglich mit anderen verbunden zu fühlen, selbst, wenn wir gerade alleine sind.
Serotonin
Anerkennung von anderen fühlt sich gut an. Der Treiber hinter diesem guten Gefühl ist der Neurotransmitter Serotonin. Das menschliche Gehirn ist ständig auf der Suche nach Möglichkeiten sich wichtig zu fühlen. Die war und ist in Säugetierherden wichtig. Je höher der Status, desto grösser z.B. die Chance seine Gene weitergeben zu können.

Stresshormon
Ist das Neurotransmitter oder eben das Stresshormon Cortisol im Spiel, fühlt sich das für uns nicht gut an. Unser Gehirn hat eine Gefahr wahrgenommen und warnt uns mit der Hilfe von Cortisol. Dieses Alarmsystem schreit uns quasi an "Tu etwas." Cortisol erzeugt ein Gefühl des Schmerzes, damit wir der bedrohlichen Sache unsere gesamte Aufmerksamkeit widmen. Unser Gehirn speichert diese Schmerzerfahrungen sehr detailliert ab, damit wir in Zukunft dieselbe gefährliche Situation antizipieren und vermeiden können.

Die körperliche Unversehrtheit ist heute im Vergleich zu früher viel weniger gefährdert. Dafür wird die Bedeutung des sozialen Schmerzes in Zeiten von Socialmedia & Co. immer bedeutender. Auch sozialer Schmerz wird von Cortisol vermittelt. Schliesslich ist eine soziale Isolation eine sehr ernsthafte Gefährdung des Überlebens.
Muster und Erwartungen
Unser Grosshirn (Kortex) ist pausenlos auf der Suche nach bekannten Mustern. Aufgrund von bereits gemachten Erfahrungen wurden neuronale Netzwerke aufgebaut, die benutzt werden, um Prognosen für die unmittelbare Zukunft vorherzusagen.
Erwartungen sind so gesehen neuronale Pfade, die bereits aktiviert werden, bevor der sensorische Input tatsächlich eintrifft. Werden die Erwartungen erfüllt oder im besten Fall sogar übertroffen, belohnt uns unser Gehirn mit einem angenehmen (Glücks)Gefühl. Auf der anderen Seite fühlen wir uns schlecht, wenn die Erwartungen enttäuscht werden.
Gier nach Aufmerksamkeit
Unser Gehirn, v.a. unser limbisches System, setzt Aufmerksamkeit mit Überleben gleich. Das macht durchaus Sinn, schliesslich kämpfen wir als Neugeborene vom ersten Moment an um die Aufmerksamkeit unserer Mutter. Babies schreien, um ihre Bedürfnisse zu erfüllen.
Kein Wesen wird so fragil geboren, wie der Mensch. Kein anderes Wesen ist bei der Geburt so hilflos. Deshalb ist es nur logisch, dass wir von Beginn an um Aufmerksamkeit kämpfen. Unser Gehirn (v.a. der Kortex) ist bei Geburt weitgehend unvernetzt. Die neuronalen Verbindungen bauen sich nach und nach aufgrund von Erfahrungen auf. Das hat den grossen Vorteil, dass wir uns so perfekt an die Umgebung anpassen können, in der wir aufwachsen. Der Nachteil dieses unvernetzten Gehirns ist, dass wir jahrelang auf Unterstützung aus unserem nächsten Umfeld angewiesen sind. Diese Unterstützung fordern wir ein, in dem wir uns schon als Baby Aufmerksamkeit erkämpfen respektive erschreien.

Glück ist flüchtig
Wir haben einen Kortex, der nach Mustern sucht und so ständig Vorhersagen trifft, die auch immer wieder enttäuscht werden. Dazu haben wir ein limbisches System, das nach Aufmerksamkeit und Status strebt. Und zu guter letzt sucht unser Stammhirn die Umgebung pausenlos nach Gefahren ab. Kein Wunder herrscht immer wieder Cortisol-Alarm.

Unser Alarmsystem fühlt sich zwar nicht gut an. Aber ohne dieses System hätte es die Spezies Mensch kaum bis ins 21. Jahrhundert geschafft. Seien wir also dankbar, dass wir diesen Gegenpol zu den Glücksgefühlen haben.
Auf der anderen Seite können wir unsere Glückshormone durchaus ein wenig anstossen...
- Regelmäßige Bewegung: Sport kann die Freisetzung von Endorphinen und Serotonin fördern.
- Gesunde Ernährung: Eine ausgewogene Ernährung kann die Produktion von Neurotransmittern unterstützen.
- Soziale Interaktionen: Zeit mit Freunden und Familie kann die Oxytocin-Freisetzung erhöhen.
- Entspannungstechniken: Meditation und Yoga können helfen, den Serotoninspiegel zu erhöhen.
Ausserdem hilft es seine Aufmerksamkeit auch immer wieder bewusst auf die schönen und positiven Dinge des Lebens zu lenken. Unser Gehirn konzentriert sich im Autopilot-Modus auf die negativen Aspekte. Dank unseres Bewusstseins haben wir aber die Möglichkeit uns auch die guten Dinge zu vergegenwärtigen.
Denken wir an schöne und angenehme Dinge wird der linke präfrontale Cortex aktiv und vermittelt uns ein gutes Gefühl. Grübeln wir über unangenehme oder gefährliche Dinge, aktivieren wir damit den rechten präfrontalen Cortex und wir fühlen uns schlecht.
Glücksgefühle sind immer und ausnahmslos kurzfristig. Die Glückshormone werden vom Körper relativ schnell verstoffwechselt. Das ist auf den ersten Blick zwar schade, macht aber evolutionär betrachtet durchaus Sinn. Schliesslich soll das Alarmsystem des Überlebens nicht zu lange ausser Kraft gesetzt werden.