Nah am Wasser gebaut: weshalb Emotionen und Gefühle nicht dasselbe sind

Feb 26, 2024Von Paddy Kälin
Paddy Kälin

Emotionen - ein Begriff, den jedes Kind kennt. Ein Begriff, den wir in unserer Alltagssprache ganz selbstverständlich benutzen; und zwar als Synonym für das Wort "Gefühl". Aus neuronaler Sicht stehen die beiden Begriffe allerdings nicht für dasselbe. Ein Mensch, der nah am Wasser gebaut ist, hat nicht mehr Emotionen, als eine Person, die weniger schnell zu Tränen gerührt ist.

Emotionen vs. Gefühle

Ein Gefühl beschreibt - wenig überraschend - einen körperlichen Vorgang, den wir bewusst fühlen und spüren. Eine Emotion hingegen ist ein unbewusst ablaufendes Handlungsprogramm. Dementsprechend entstehen Emotionen und Gefühle in jeweils anderen Bereichen unseres Gehirns.

Evolutionäre Einsichten

Unser Gehirn ist in erster Linie dafür da unser Überleben zu sichern. Es kümmert sich darum, dass wir Gefahren erkennen (überleben als Individuum) und uns fortpflanzen (überleben als Spezies). Die Angst vor dem Säbelzahntiger oder der Ekel vor verdorbenem Fleisch warnen uns vor Gefahren für Leib und Leben. Umgekehrt zeugen wir Nachkommen mit einem Menschen, den wir lieben und dem wir uns anvertrauen. Angst, Ekel und Liebe sind drei Emotionen aus einer breiten Palette.

Unterbewusstsein

Alle Emotionen haben folgende gemeinsame Eigenschaften. Emotionen...

... steuern und beeinflussen unser Verhalten

...entstehen im limbischen System

...variieren in ihrer Stärke in Abhängigkeit vom wahrgenommenen Reiz

...führen zu einer spezifischen körperlichen Reaktion

...hängen mit der Ausschüttung unterschiedlicher Hormone und Neurotransmitter zusammen

Grosshirnrinde = grosse Gefühle

Ein Gefühl ist die bewusste Wahrnehmung unseres Körpers und Geistes, nachdem unser Unterbewusstsein ein emotionales Handlungsprogramm gestartet hat. Diese Wahrnehmung läuft - je nach Emotion - in unterschiedlichen Bereichen der Grosshirnrinde (Cortex) ab. Deswegen steht ein Gefühl aus neuronaler Sicht für die kortikale und bewusste Übersetzung oder Interpretation einer limbischen und unbewussten Emotion.

Modell des Grosshirns

Emotionskontrolle

In unserem Gehirn haben wir zwei Netzwerke, die im Zusammenhang mit der Entstehung und der Kontrolle von Emotionen stehen. Es sind die bereits beschriebenen Netzwerke im limbischen System (die unbewussten emotionalen Handlungsprogramme) und die kortikale Repräsentation (bewusste Körperwahrnehmungen). Wenn wir einer Gefahr begegnen, haben wir deshalb auch "zweimal" Angst. Die Angst entseht über zwei Wege mit unterschiedlicher Geschwindigkeit. Die Wissenschaft spricht von einer high road (schnelles System über Emotionen) und einer low road (langsames System über Gefühle). Gemeinsam führen diese beiden System zur bekannten "fight, flight, freeze - Reaktion" bei Gefahren. Die high road ist schneller, dafür manchmal etwas unpräziser. Deswegen erschrecken wir auch mal beim Anblick eines Gartenschlauches, den unser schnelles System unbewusst als Schlange (=Gefahr) wahrgenommen hat.

Hirnrinde kontrolliert Emotionen

Wir erschrecken nicht nur beim Anblick eines Gartenschlauches. Manchmal entwickeln wir auch irrationale Ängste, zum Beispiel eine Spinnenphobie. Wir wissen genau, dass wir keine Angst zu haben brauchen, dennoch fühlen wir sie. Was geht da im Gehirn vor sich?

grosse Spinne auf roter Wand

Im Gehirn eines Menschen mit einer Spinnenphobie sind Sehrinde und präfrontaler Cortex stark aktiv, wenn das Tier mit den acht Beinen in Sicht kommt. Ausserdem feuert das Alarmsystem des limbischen Systems (Amygdala) dann übermäßig stark. Nach einer geeigneten Intervention messen Forscher anders als vielleicht zu erwarten, nicht weniger Aktivität in der Amygdala – stattdessen arbeitet der präfrontale Cortex dann noch mehr. Die Phobiker haben gelernt, den angstauslösenden Reiz der Spinne emotional neu zu bewerten. 

Zusammenfassung

Emotionen und Gefühle hängen zusammen, sind aus neuronaler Sicht aber nicht dasselbe. Emotionen meinen es grundsätzlich gut mit uns. Sie haben eine positive Absicht, auch wenn sie uns manchmal in die Quere kommen (z.B. Spinnenphobie). 

Und übrigens: die emotionalen Muster sind bei Frauen und Männern dieselben ;-)