Learning by doing oder wie wir lernen
Wir Menschen sind geboren, um zu lernen. Wir kommen auf die Welt und können praktisch nichts. Während zum Beispiel ein Kalb bereits eine halbe Stunden nach seiner Geburt auf den eigenen Beinen stehen kann, beschränken sich die angeborenen Fähigkeiten eines neugorenen Menschen auf das Saugen und Schreien. Alles andere müssen wir lernen. Was zunächst nach einem Nachteil klingt, ist bei genauerer Betrachtung verbunden mit einem grossartigen Geschenk der Natur. Sie hat uns mit mit einem genialen und mächtigen Organ ausgestattet, gerade WEIL wir alles lernen müssen: unserem Gehirn.
Definition des Lernens
Wahrscheinlich denken viele von uns beim Begriff "Lernen" an mehr oder weniger schöne Erfahrungen aus dem schulischen Kontext. Wir alle kennen "Lernen". Aber versuche einmal zu definieren, was denn "Lernen" konkret bedeutet. Gar nicht so einfach oder?
Lernen ist ein bewusster und unbewusster Erwerb von kognitiven, körperlichen oder sozialen Kenntnissen oder Fähigkeiten. Der Prozess des Lernens führt zu relativ stabilen Veränderungen des Denkens, Verhaltens und Fühlens.
Letztlich sind wir dank der Lernfähigkeit unseres Gehirns in der Lage uns den jeweiligen Anforderungen, die an uns gestellt werden, anzupassen. Diese Anforderungen ändern sich stetig und lebenslang. Zum Glück ist auch der Prozess des Lernens und die Lernfähigkeit unendlich. Ja, es gibt gewisse Dinge, die wir in jüngeren Jahren einfacher lernen. Aber grundsätzlich lernt unser Gehirn lebenslang. Die Aussage "Was Hänsschen nicht lernt..." ist zwar weit verbreitet, aber dennoch falsch.
Die Physiologie des Lernens
Unser Gehirn setzt sich gemäss aktuellsten Schätzungen aus ca. 90 Milliarden Nervenzellen (sogenannten Neuronen) zusammen. Ein Neuron setzt sich schematisch aus 3 verschiedenen Strukturen zusammen: den Dendriten (die orangen Strukturen / links in der Abbildung), dem Zellkern (in der Abbildung grün) und dem Axon (der orangen Struktur, die zum Teil gelb isoliert ist / mitte und rechts in der Abbildung). Der grundlegende Funktionsmechanismus hinter diesen Strukturen ist relativ simpel: Dendriten nehmen elektrische oder elektro-chemische Signale auf und leiten diese zum Zellkern. Das Axon leitet die Signale weiter. Die Verbindungen zwischen Dendriten und Axonen nennt man Synapsen.

Der Prozess des Lernens hat nun zwei physiologische Folgen. Einerseits wird die Isolation des Axons dicker. Dies hat zur Folge, dass die Reizweiterleitung schneller wird. Andererseits führt Lernen dazu, dass sich die Dendriten noch feiner verästeln und auf diese Weise neue Verbindungen (neue Synapsen) zu anderen Neuronen herstellen können. Diesen kompliziert klingenden strukturellen Umbau kennen wir alle aus eigener Erfahrung. Eine neue Bewegung zum Beispiel ist zu Beginn des Lernprozesses anstrengend und alles andere als geschmeidig. Mit der Zeit und der Übung erscheint uns dieselbe Bewegung plötzlich mühelos und fein abgestimmt. Dasselbe gilt für kognitive Lerninhalte. Worte in einer fremden Sprache auszusprechen ist anfangs enorm anstrengend, gelingt uns aber zunehmend einfacher - wenn wir am Lernen dranbleiben.
Den grundlegenden, neurobiologischen Lernmechanismus unseres Gehirns formulierte Donald Hebb (kanadischer Psychologe, 1904-1985) in seinem bis heutigen gültigen Standardwerk "The organization of behaviour - a neuropsychological theory" aus dem Jahr 1949 kurz und knapp:
Neurons that fire together, wire together.
Neuronen, die gemeinsam zum Einsatz kommen, verbinden sich stärker miteinander. Der gesamte strukturelle Umbau auf neuronaler Ebene wird als Tuning bezeichnet. Freilich gibt es auch einen gegenteiligen Prozess, der sich Pruning nennt. Dabei werden Neurone, die nicht gebraucht werden, abgebaut.
3 Arten von Lernen
Lernprozesse können in nicht-assoziatives, in assoziatives und in kognitives Lernen unterteilt werden. Alle drei Lernprozesse kommen in unserem Leben vor. Alle machen durchaus Sinn, bergen aber auch gewissen "Gefahren". Nicht alle Lebewesen sind gleichermassen fähig auf alle drei Arten zu lernen. Gerade das kognitive Lernen ist nur höher entwickelten Spezies möglich.
nicht-assoziatives Lernen
In dieser Situation haben wir einen alleinstehenden Reiz, der wiederholt auftritt. Im Laufe der Zeit passen wir unsere Reaktion auf diesen Reiz an. Dabei können wir grundsätzlich stärker oder schwächer auf den Reiz reagieren. So entstehen innerhalb des nicht-assoziativen Lernens also zwei Möglichkeiten:
Habituation (Gewöhnung) bezeichnet die abgeschwächte Reaktion, die neurophysiologisch mit einer Verminderung der Synapsen einhergeht. Auf diese Weise gewöhnen wir uns zum Beispiel an den Lärm der Hauptstrasse vor unserem Schlafzimmerfenster. Oder die Amsel lernt irgendwann, dass die Vogelscheuche keine wirkliche Gefahr darstellt.
Sensitivierung (Verstärkung) steht für eine verstärkte Reaktion, die neurophysiologisch von einer Vermehrung der Synapsen begleitet wird. Unser Smartphone mit seinen Pushnachrichten und Klingeltönen kann so beispielsweise bereits ein Herzrasen auslösen, obwohl der eigentlich Reiz völlig neutral ist.

Assoziatives Lernen
Beim assoziativen Lernen werden zwei Reize miteinander verknüpft, die nicht in einem natürlichen Zusammenhang stehen. Dabei müssen die beiden Reize zeitlich dicht aufeinander folgen oder gar gleichzeitig auftreten. Werden zwei Reize miteinander assoziiert oder verknüpft, spricht man von einer Konditionierung. Innerhalb der Konditionierungsprozesse gibt es drei weitere Unterteilungen.
Die klassische Konditionierung ist vielen bekannt, da sie durch die Arbeiten des russischen Mediziner Iwan Pawlow (1849-1936) berühmt wurde. Pawlow's Hunde haben beinahe Kultstatus erreicht. Im berühmtesten Experiment verknüpfte Pawlow bei seinen Tieren zwei Reize, die in keiner natürlichen Verbindung miteinander stehen: Futter und ein Glockenklingeln. Die Hunde wurden beiden Reizen ausgesetzt: wenn die Glocke erklang, gab es auch Futter. Nach einer gewissen Zeit konnte Pawlow bei den Hunden einen erhöhten Speichelfluss messen, auch wenn nur die Glocke geläutet wurde, ohne dabei aber Futter im Spiel gewesen ist. Die natürlich Reaktion (Speichelfluss bei Futter) war mit einem unnatürlichen Reiz (Glocke) verknüpft worden. Die klassische Konditionierung funktioniert aber auch bei uns Menschen. Ein einmaliges negatives Erlebnis mit einem Hund löst Panik bei jeder weiteren Begegnug mit einem noch so kleinen Vierbeiner aus. Oder bereits die Vorstellung an eine bevorstehende Präsentation kann Angst auslösen, wenn wir diese Angst in einer vergleichbaren Situation schon einmal real erlebt haben.
Die instrumentelle Konditionierung bezeichnet man auch als Lernen am Erfolg mit der Methode Versuch und Irrtum. Dabei geht es um das Erlernen von sogenannten Reiz-Reaktionsmustern. Im Grundsatz wird ein Verhalten, das angenehme Folgen hat, wiederholt. Hat ein Verhalten dagegen unangenehme Konsequenzen, so wird es in Zukunft eher nicht wiederholt. Auf diese Weise lernt ein Hund (nicht nur diejenigen von Pawlow) zum Beispiel, was er beim Kommando "Sitz" zu tun hat - mit der Hilfe von kleinen Leckerlis zur Belohnung. Wir Menschen lernen auf diese Weise beispielsweise, dass es sich lohnt und gehört sein Geschäft auf der Toilette, statt in die Windeln zu verrichten...

Die operante Konditionierung wird oft mit der instrumentellen gleichgesetzt. Dies ist allerdings nicht korrekt. Bei beiden Prozessen gibt es zwar eine Belohung für ein bestimmtes Verhalten. Aber während bei der instrumentellen Konditionierung der Lernprozess sehr zielgerichtet ist (Versuch und Irrtum), erfolgt das Verhalten bei der operanten Konditionierung zufällig. So kann sich ein Kleinkind im Supermarkt zwar aus Trotz und Ärger weinend zu Boden werfen. Es hat aber mit diesem Verhalten nicht zwingend die Absicht z.B. Schokolade zu bekommen. Wenn es dann aber diese Schokolade in dieser Situation tatsächlich bekommt, ist der Lerneffekt gross und unmittelbar. Das belohnte Verhalten wird so konditioniert.

Neben den geschilderten Arten der Konditionierung gibt es im Bereich des assoziativen Lernens auch noch das sogenannte Lernen am Modell. Der kanadische Psychologe Albert Bandura (1925-2021) ist der geistige Vater dieses Lernprozesses. Inhaltlich ist dieser Prozess sehr eng mit demjenigen der instrumentellen Konditionierung verbunden. Es geht dabei um ein Nachahmungslernen, um ein Beobachtungslernen. Aus der Perspektive des Beobachters lernen wir, ob ein Verhalten angenehme Folgen hat. Ist dies der Fall ahmen wir das Verhalten nach. So lernen wir von Vorbildern, Kinder lernen von ihren engsten Bezugspersonen. Das Lernen am Modell ist eine wichtige Grundlage für soziales Lernen. Auf diese Weise entstehen und entwickeln sich Kulturen. Innerhalb von kleineren (Familie, Arbeitsteam, Sportmannschaft etc.) oder grösseren (Unternehmen, Land, Ethnien) Gruppierungen werden Normen und Werte definiert und dementsprechend gelebt.
Kognitives Lernen
Das kognitive Lernen ist die komplexeste Art aller Lernprozesse. Es findet auf der Basis von Erwartung und Vorwissen statt. Im Zentrum stehen Selbstbeobachtung und -reflexion. Es ist quasi eine Form der inneren Versuch-und-Irrtum-Methode. Bestehende Elemente werden neu kombiniert und miteinander verknüpft, um ein tieferes Verständnis zu schaffen. Kognitives Lernen wird auch als Problemlösen oder als Lernen durch Einsicht definiert. Das Ziel des kognitiven Lernens ist letztlich Verständnis.

Gerade, weil die Fähigkeit über sich und seine kognitiven Möglichkeiten nachzudenken zentral ist, sind nicht alle Lebewesen in der Lage auf diese Art zu lernen.
Voraussetzung für Lernen
Die Forschung anerkennt 3 sogenannte Lernturbos, also Faktoren, die Lernen ermöglichen und beschleunigen. Es sind dies:
Wiederholung | je regelmässiger, desto besser |
emotionale Intensität | je intensiver, desto besser |
Elaboration | je verknüpfter, desto besser |
Um die besten Voraussetzungen für Lernen zu schaffen, reichen aber schon drei Buchstaben:
Lernen hat 3 Buchstaben - TUN.
Denn Lernen findet IMMER und AUSSCHLIESSLICH auf der Basis von Erfahrung und Einsichten statt. Und diese gewinnen wir nur, wenn wir ins TUN kommen.