Gewohnheiten - das Gehirn ist ein Faultier
Es klingt unschön, ist aber die Wahrheit: unser Gehirn ist faul und versucht, wenn immer möglich, das "Denken" zu verhindern. Es geht den Weg des geringsten Widerstandes. Wieso ist das so? Was bringt das? Welche Probleme können so entstehen und wie können diese gelöst werden? Hier gibt es die Antworten.
Defintion von Gewohnheiten
Gewohnheiten sind wie die Wurzeln einer Pflanze. Sie geben Stabilität und liefern Energie. Gute Wurzeln helfen auch eine Schlechtwetterphase zu überstehen. So sind gute Gewohnheiten für Menschen nicht nur, aber gerade in Zeiten einer Krise äusserst wertvoll.

Aus der Perspektive des Gehirns betrachtet, sind Gewohnheiten eine Art Autopilot. Gewohnheiten sind - vor allem in halbwegs bekannten Situationen - eine automatische Programmroutine. Wir bilden Gewohnheiten aus für unser Verhalten, für unser Denken und Fühlen.
Vorteile und Sinn von Gewohnheiten
Ein Gehirn ohne Gewohnheiten wäre komplett überfordert mit der Millionenflut an Reizen umzugehen. Die Ressourcen des Gehirns sind stark begrenzt, deshalb kann es - rein physiologisch betrachtet - unmöglich all diese Reize bewusst verarbeiten. Die Ausbildung von Gewohnheiten ist letztlich die einzige Möglichkeit zu überleben.

Dabei ist jede Gewohnheit stets mit einer guten Absicht des Gehirns verbunden. Denn eine Gewohnheit bietet drei grosse Vorteile:
Energie sparen
Ein Ablauf, den wir bewusst durchdenken, planen und ausführen müssen, findet vorwiegend im Bereich des Stirnhirns (PFC = präfrontaler Cortex) statt. Arbeitsvorgänge im PFC sind teuer, sie kosten eine Menge Sauerstoff und Zucker. Unbewusste Programmroutinen finden hingegen in den sogenannten Basalganglien statt. Diese geben sich mit deutlich weniger Sauerstoff und Zucker zufrieden für die Verrichtung ihrer Tätigkeit.
Entscheidungen erleichtern
Gerade in Situationen, in denen wir viele Auswahlmöglichkeiten haben, erleichtern uns Gewohnheiten die Entscheidungsfindung. Wir haben zwar oft das subjektive Empfinden, dass wir eine Entscheidung wohldurchdacht fällen. Aber in vielen Fällen ist das nicht so. Eine Gewohnheit des Denkens liefert uns einen Vorschlag aus dem Unterbewusstsein. Das Bewusstsein nimmt diesen Vorschlag meistens gerne an. Denken Sie zum Beispiel einmal an eine Situation in einem Restaurant mit einer üppigen Speisekarte. Und dann überlegen Sie sich, wie Sie Ihre Entscheidung treffen...
Stabilität und Sicherheit geben
Gewohnheiten machen unseren Alltag vorhersehbarer, planbarer und damit auch lösbarer - zumindest in unserer subjektiven Wahrnehmung. Um nochmals auf die Speisekarte von oben zurückzukommen: wir entscheiden uns oft für etwas, das wir kennen, nach dem Motto "da weiss ich, was ich bekomme". Routinen schaffen ein subjektives Gefühl der Ordnung, sie geben Struktur und Sicherheit. Deshalb achtet Rafael Nadal zum Beispiel peinlichst genau darauf, wie er seine Trinkflaschen bei der Bank ausrichtet...
Bildung von Gewohnheiten
Gewohnheiten sind immer und ausschliesslich erlernte Abläufe. Sie sind keine angeborenen Instinkte. Beim Erlernen von Gewohnheiten gehen wir als Mensch und damit auch unser Gehirn immer wieder dieselbe Gewohnheitsschlaufe durch. Diese setzt sich aus 4 Komponenten zusammen: Reiz, Aktion, Belohnung und Wiederholung.

Anhand eines Beispiels wird dieser Prozess sofort verständlich. Eine Person spürt eine Unruhe, eine Nervosität, weil sie vor ihren Arbeitskollegen gleich eine Präsentation halten muss. Das Wahrnehmen dieser Nervosität stellt den Reiz dar. Nun folgt die Aktion, sagen wir ein Griff zu einer Zigarette. Die Aktion des Rauchens führt zur Beruhigung der Person und fühlt sich angenehm an. Die Beruhigung ist die Belohnung für die Aktion des Rauchens. Und was sich angenehm anfühlt, wird in Zukunft wiederholt. Dabei kann sich der Kontext des Reizes durchaus verändern und trotzdem wird gewohnheitsmässig dasselbe Verhalten ausgelöst. Die Person wird also jedesmal "instinktiv" eine Zigarette rauchen, wenn sie eine innere Unruhe wahrnimmt.
Je öfter die Gewohnheitsschlaufe wiederholt wird, desto tiefer brennt sich die neuronale Spur in den Basalganglien ein. Es bilden sich immer stabilere, schnellere und stärkere neuronale Netzwerke aus. Die Folge: der Widerstand sinkt genauso wie der Energieverbrauch. Die Routine erfüllt damit perfekt ihren Zweck. Dabei unterscheidet unser Gehirn nicht zwischen guten und schlechten Gewohnheiten. Wir wissen aber natürlich, dass die Konsequenzen von Gewohnheiten durchaus gut oder schlecht sein können.
Gewohnheiten ändern
Die gute Nachricht vorneweg: wir können Gewohnheiten ändern, denn im Gehirn ist neuronal nichts in Stein gemeisselt. Wir können eine alte Gewohnheit zwar nicht löschen, aber wir können sie mit einer neuen quasi überschreiben. Wichtig bei der Etablierung einer neuen Gewohnheit ist vor allem eines: das TUN. Nicht etwa die richtige Einstellung (oder neudeutsch Mindset) entscheidet über Erfolg oder Nichterfolg. Das Tun und die Wiederholung sind die entscheidenden Faktoren für das Gelingen. Dabei sollte uns ein gut untersuchter Effekt aus der Psychologie ein wenig Zuversicht geben: der sogenannte Mere Exposure Effekt (Effekt des blossen Kontakts).

Je häufiger wir etwas tun oder denken, desto angenehmer erscheint uns dies in der Tendenz. Menschen, denen wir häufig begegnen, werden uns alleine durch die Häufigkeit des Kontakts sympathischer. Wir essen oft, was wir mögen. Aber es gilt eben auch: was wir oft essen, beginnen wir zu mögen. Die Wiederholung ist zum Glück aber nur eine von insgesamt 4 Stellschrauben, an denen wir drehen können, um eine neue Gewohnheit zu etablieren.
Reiz
Wir müssen den Reiz kennen oder definieren, der eine bestimmte Aktion aulöst oder auslösen soll. Dabei müssen wir den gesamten Kontext analysieren. In welcher Situation, an welchem Ort, in welcher Stimmungslage, zu welcher Zeit, in Anwesenheit welcher Personen tritt der Reiz auf?
Der Kontext erzeugt die Motivation einer Handlung oder Gedankens. Oder anders ausgedrückt: Verhältnisse bestimmen unser Verhalten. Zum Glück gilt aber auch, dass wir mit unserem Verhalten die Verhältnisse zumindest mitgestalten können.
Wenn es uns also gelingt den Kontext zu ändern, haben wir eine gute Chance eine neue Gewohnheit auszubilden.
Aktion
Natürlich müssen wir die alte unliebsame Aktion durch eine andere ersetzen. Dazu müssen wir herausfinden, welches Bedürfnis von der ursprünglichen Aktion befriedigt wurde. Wenn wir also zum Beispiel am Abend vor dem Schlafen gehen noch das Bedürfnis nach sozialer Interaktion spüren, könnten wir - statt 20 Minuten durch Instagram und Co. zu scrollen - noch ein Telefonat mit einer guten Freundin führen.
Bevor wir also eine Aktion durch eine andere ersetzen können, müssen wir auch hier eine kleine Analyse betreiben und das hinter der Aktion stehende Bedürfnis eruieren.
Belohnung
Die Belohnung ist Grundlage für jegliches Lernen. Ein aktives Belohnungsnetzwerk im Gehirn fühlt sich gut an. Das Gehirn wird mit "Glückshormonen und -botenstoffen" geflutet. Was sich angenehm und gut anfühlt, wird in der Folge wiederholt. So einfach.
Ein kleines Problem gibt es allerdings. Unser Gehirn liebt Belohnungen in der Gegenwart. Belohnungsaufschub nach dem Motto "in 2 Monaten habe ich 5 Kilogramm abgenommen" funktioniert aus der Perspektive unseres Gehirns ganz schlecht oder gar nicht.
Auch hier ist wieder etwas (Denk)Arbeit und vielleicht Kreativität gefragt. Überlegen Sie sich, wie Sie die gewünschte Aktion belohnen können. Wenn Sie zum Beispiel die 15 Minuten Jogging hinbekommen haben, dann gönnen Sie sich etwas, das Ihnen gut tut. Sollte das ein (!) kleiner Schokoriegel sein, ist das in Ordnung. Klar futtern Sie sich so wieder ein paar der gerade verbrannten Kalorien rein. Aber Sie entwickeln dadurch ein neue Gewohnheit, die Sie zu jemandem macht, die/der regelmässig Sport treibt.
Belohnungen "von aussen" sind gerade zu Beginn wichtig, um die Routine zu etablieren. Mit der Zeit wird die neue, erwünschte und lieb gewonnene Aktion selbst zur Belohnung.
Wiederholung
Gerade zu Beginn sind Ausnahmen absolut tabu. Gönnen Sie sich keine Ausnahme, sonst erinnern Sie Ihr Gehirn an alt Bewährtes und die neuronalen Spuren in den Basalganglien werden reaktiviert. Seien Sie am Anfang ultrakonsequent, es lohnt sich. Mit etwas Geduld wird Ihnen die neue Routine immer leichter fallen.
Zusammenfassung
Gewohnheiten sind eine gut gemeinte Abkürzung des Gehirns, das programmiert ist den Weg des geringsten Widerstandes zu gehen. Letztlich will unser Gehirn mit der Ausbildung von Gewohnheiten uns nur sicher, bequem und günstig durch das Leben navigieren. Seien Sie nachsichtig mit sich und Ihrem Gehirn.
Die Kosten von guten Gewohnheiten fallen in der Gegenwart an, jene von schlechten in der Zukunft. Oder wie es Sebastian Kneipp (deutscher Theologe und Naturheilkundler im 19.Jh.) ausdrückte:
Wer sich keine Zeit für seine Gesundheit nimmt, wird sich irgendwann Zeit für Krankheit nehmen müssen.
Im untenstehenden Video gibt es weitere Informationen, Beispiele und Tipps.